Personalisierte Medizin

Personalisierte Medizin

Der Begriff „Personalisierte Medizin“ hat viele Synonyme. Heutzutage ist damit oft die Umsetzung des Wissens über die krankheits- oder heilungsverursachenden zellulären und molekularen Vorgängen im Organismus in moderne und meist zielgerichtete, mitunter sehr präzise und individuell gestaltete Therapieoptionen gemeint.

Patient ist nicht gleich Patient

Der Begriff „Personalisierte Medizin“ ist nicht unumstritten, da es den Eindruck erweckt, dabei werde ein auf das einzelne Individuum maßgeschneiderter Wirkstoff entwickelt. Das ist jedoch noch weitgehend Zukunftsmusik. Einen Patienten nach seinen individuellen Spezifika zu behandeln ist dagegen so alt wie die Medizin selbst. Ärzte haben schon immer die Therapie an die individuellen Charakteristika ihrer Patienten ausgerichtet. Neu ist Ärzten und Patienten auch nicht die Erkenntnis, dass nicht jede Therapie (gleich gut bei allen) wirkt. Dosierungsanpassungen von Wirkstoffen oder Therapiedauer beispielweise erfolgen in der Regel in Abhängigkeit von Alter, Körpergröße oder -gewicht. So wurde beispielsweise festgestellt, dass etwa 40 Prozent der Patienten, die mit Antidepressiva behandelt wurden, keinerlei Besserung ihres Krankheitszustandes aufgrund der verschriebenen Wirkstoffen zeigten; bei Alzheimer oder Krebsmedikamenten war der Anteil der Nicht-Ansprechrate bei mindestens 70 Prozent. Ähnliche Ergebnisse publizierte die Personalised Medicine Coallition 2006.

Gezielte Werkzeuge

Die Einbeziehung der immer rascher wachsenden Erkenntnisse über die molekularen und genetischen Vorgänge im menschlichen Organismus bei Diagnostik und Therapie von Krankheiten hat der Medizin gezieltere und effektivere Werkzeuge an die Hand gegeben. In diesem Rahmen resultierte der Begriff der „Personalisierten Medizin“. Einer Studie zufolge tauchte er erstmalig in diesem Kontext im Jahr 1999 auf. 1971 wurde er zwar bereits verwendet, jedoch im Zusammenhang mit der Beschreibung der Beziehung zwischen Arzt und Patient. Seither hat sich die Anzahl der Nennungen dieses Begriffs in wissenschaftlichen Publikationen von Beginn des Jahrtausends an exponentiell erhöht. Waren es im Jahr 2001 (das Jahr der ersten Veröffentlichung im Rahmen des HGP) lediglich 19 Publikationen, sind es 2011 mehr als 2.500.

Das Gros der derzeit angewandten „personalisierten“ Therapien unternimmt eine Einteilung von Patientengruppen aufgrund von Biomarkern gestützten Tests: Durch den Einsatz diagnostischer Tests kann immer besser vorhergesagt werden, ob – und je nach Medikament auch wie – ein zu behandelnder Patient auf die Behandlung mit einem bestimmten Wirkstoff reagieren wird: Die Prädiktion erstreckt sich nicht nur auf die Unterteilung (Stratifizierung) in „Responder-“ und „Non-Responder“-Gruppen, sondern auch auf die Nebenwirkungs- und die Dosierungsempfindlichkeit (langsame oder schnelle Metabolisierer) der Patienten. Daher wäre es eigentlich genauer, in diesem Zusammenhang von Biomarker-basierte „stratifizierende Medizin“ zu sprechen.

Neuartige Therapien

Ein vielversprechender Zweig der Personalisierten Medizin ist der Einsatz von Produkten für neuartige Therapien – auch ATMP für „Advanced Therapy Medicinal Products“ genannt. Darunter versteht man die Gentherapie, somatische Zelltherapien und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte („Tissue-Engineering“). Diese werden zu den biologischen Arzneimitteln gezählt.

Auf dem Gebiet des Tissue Engineering ist die Personalisierung der Medizin bereits weit fortgeschritten. Stamm- oder Gewebezellen des Patienten dienen bei vielen dieser bereits in der Krankenversorgung eingesetzten Verfahren als Vorstufe für das Gewebeprodukt. Da Patienten in einem autologen Setting mit ihren eigenen Körperzellen, die vervielfältigt und aufbereitet wurden, behandelt werden, können zum Beispiel Abstoßungsreaktionen verhindert werden.

Die Prinzipien der Regenerativen Medizin werden bei der Stammzelltransplantation seit mehr als vierzig Jahren erfolgreich zur individualisierten Behandlung von Leukämien und Lymphomen eingesetzt. Doch das Potenzial der Regenerativen Medizin wird durch den bereits erwähnten raschen Erkenntnisgewinn deutlich breiter. Schlagzeilen über die jüngst von japanischen Wissenschaftlern im Fachblatt „Nature“ publizierte Erzeugung von „Miniorganen“ in der Petrischale zeigen die Dynamik des Sektors, auch wenn es von diesen vielversprechenden Ansätzen bis zu etablierten Produkten und Verfahren vielfach noch einiger Forschung und damit viel Zeit bedarf.

Beispiele bereits erprobter Produkte und Methoden aus dem ATMP-Bereich sind die autologe Knorpelregeneration, die Harnröhren-Rekonstruktion, die Herstellung von autologem Hautgewebe in der ambulante Behandlung von Wundpatienten, der Einsatz von Zelltherapien zur Behandlung von Harn- und Stuhlinkontinenz oder die Bindegewebsregeneration durch autologe Adipose-Derived Regenerative Cells (ADRCs).

Bessere Diagnostik

Aber nicht nur bei der Therapie einer Krankheit werden die Erkenntnisse der Molekularbiologie des Menschen verwendet, sondern auch bei der Krankheitsprävention: Bereits heute kann bei Gesunden die Prädisposition für bestimmte Leiden dank Genanalyse bestimmt werden. Gängige, kommerzielle und zum Teil bereits über die Arztpraxen oder sogar in Apotheken angebotene Tests erlauben Aussagen über die Veranlagung für beispielsweise Osteoporose, einige Krebsarten (Brust- und Gebärmutter), Herz-Kreis-Lauf-Beschwerden, bestimmte Allergien oder Diabetes Typ II.

Effektivere Behandlung

Die Stratifizierung (Einordnung in Gruppen) macht heute schon die Anwendung von Medikamenten am Patienten gezielter und effektiver: Größere Adhärenz, weniger Nebenwirkungen, erhöhte Sicherheit und mehr Behandlungserfolge. Dieser Trend wird sich in der Zukunft fortsetzen und sogar verstärken. Auch die Fortschritte des Tissue Engineering, der Zell- und der Gentherapien erleichtern Patienten und Ärzten den Alltag. Neue Therapie-Ansätze auf diesem Gebiet werden künftig auch die Heilungserfolge auf vielen Gebieten signifikant erhöhen.

Zudem können immer mehr Menschen Kenntnisse über ihre Prädisposition für bestimmte Krankheiten gewinnen und zusammen mit der geeigneten ärztliche-medizinischen Beratung präventiv reagieren. In naher Zukunft werden Ärzte für bislang als unheilbar geltende oder nur schwer zu behandelnde Krankheiten wie beispielsweise viele Krebsarten oder sogenannte seltene Krankheiten (Orphan Diseases) neue Therapieoptionen erhalten, die auf die Charakteristika der Patienten ausgerichtet sein werden.