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Bremst der G-BA Innovationen aus?

Strukturkonservativ, mögliche Interessenkonflikte: Das sind die Ergebnisse einer Studie über die Funktionsweise des G-BA. Die Stiftung Münch hat diese Bestandsaufnahme in Auftrag gegeben und will damit eine Reformdiskussion anstoßen. Wohin diese führen soll, welche Aufgabe hier ein Think Tank übernimmt und was der G-BA dazu sagt – darüber hat Pharmareport mit Prof. Dr. Boris Augurzky gesprochen.

Foto: Holzinger

Zur Person
Prof. Dr. Boris Augurzky (44) ist seit 2014 Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Stiftung Münch. Der promovierte Volkswirt arbeitete als Berater bei der Boston Consulting Group und wechselte 2003 an das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (rWi), wo er den Bereich Gesundheit aufbaute. Er ist Autor mehrerer Bücher, Buchbeiträge und Fachartikel, insbesondere des Krankenhaus Rating Reports.

 

Das Interview entstammt der Ausgabe 01/17 des BPI-Pharmareports.

 

Pharmareport: Was hat die Stiftung Münch dazu veranlasst, den G-BA kritisch zu hinterfragen?

Prof. Dr. Boris Augurzky: Der Stiftung Münch geht es darum, das Gesundheitswesen zukunftsfähig zu machen. Die gewaltigen Effizienzsteigerungen, die nötig sein werden, um eine anstehende Rationierung von Leistungen zu vermeiden, werden nicht allein über herkömmliche Betriebsoptimierungen zu schaffen sein. Dies wird nur über eine höhere Systemeffizienz gelingen. Dazu gehört die Möglichkeit, der Bevölkerung den Zugang zu innovativen Techniken und Produkten zu ermöglichen. Damit kommt der G-BA ins Spiel. Nachdem wir bei einem Roundtable-Gespräch der Stiftung den Eindruck gewonnen haben, dass hier eine Barriere sein könnte, haben wir die Studie beim DICE Consult beauftragt, um zu untersuchen, inwieweit der G-BA in seiner bestehenden Form gemeinwohlorientiert und innovationsoffen ist.

Worin sehen Sie den grundlegenden Konstruktionsfehler im G-Ba?

Erstens können durch die Art der Besetzung des G-BA die nicht vertretenen Interessensgruppen grundsätzlich benachteiligt werden. Zweitens ist die Art der Entscheidungsfindung problematisch. Durch das Mehrheitsprinzip kann es zu sachfremden, aber für einzelne Gruppen sinnvollen Konstellationen kommen. Drittens gibt es nicht in dem Maße Governance-Regelungen, wie sie z. B. in der Wirtschaft üblich sind. Das kann die Einflussnahme auf die Mitglieder etwa durch externe Interessensvertreter ermöglichen. Schließlich liegt ein weiteres Problem darin, dass Gesundheitsleistungen ein „Vertrauensgut“ sind. Wenn Leistungserbringer mit einem wirtschaftlichen Interesse an der Bereitstellung des Vertrauensguts gleichzeitig auch Einfluss auf die Regulierung des Vertrauensgutmarkts nehmen, können daraus Interessenkonflikte entstehen.

Der zweite Themenkomplex ist die Innovationsoffenheit des G-BA. Auch hier ist die Besetzung des G-BA problematisch, weil etwa potenzielle Verlierer von Innovationen selbst teil der Regulierungsbehörde sind und damit Innovationen ausbremsen können. Außerdem ist für viele Innovationen die reine Fokussierung auf den Evidenznachweis problematisch. Meist ist ein Pilotprojekt erforderlich, um die erforderliche Datenmenge für den Evidenznachweis zu erreichen. Dies ist bei manchen Innovationen nicht ohne weiteres leistbar. Eine Alternative wäre zumindest eine „Ausprobierphase“ in Form eines temporären oder regional beschränkten Marktzutritts.

Was hat das für Folgen?

Das hat erstens zur Folge, dass bei den Entscheidungen nicht immer die Gemeinwohlorientierung im Vordergrund stehen könnte. Zweitens haben es Innovationen und insbesondere Sprunginnovationen schwer, in den Markt zu gelangen.

Würden Sie so weit gehen, dem G-BA die demokratische Legitimation bei der Ausgestaltung der Leistungsansprüche der Versicherten abzusprechen?

Das haben wir in der Studie nicht geprüft. Diese Beurteilung liegt nicht bei uns.

Welche genauen Vorgaben und welche Kontrollen muss Ihrer Ansicht nach der Gesetzgeber selbst durchführen?

Wir haben in der Studie lediglich eine Bestandsaufnahme durchführen lassen. Konkrete Vorschläge, wie der G-BA besser werden kann, wird die Reformkommission erarbeiten.

Wie sehen die Lösungen aus, damit das Konstrukt langfristig juristisch tragbar sein kann: mit welchen Rechten und Pflichten müsste der G-BA zukünftig ausgestattet sein, nach welchem eindeutigen Maßstab müssten die Entscheidungen für die Versorgung getroffen werden, und wie sollte das Gremium arbeiten?

Auch mit dieser Frage wird sich die Reformkommission beschäftigen.

Welche Experten werden zu den Beratungen der Expertenkommission hinzugezogen?

Wir haben im ersten Schritt in der Studie festgestellt, dass die Entscheidungen des G-BA in puncto Gemeinwohlorientierung und Innovationsoffenheit problematisch sein können. Wir wollen aber nicht Probleme aufzeigen, ohne Lösungen anzubieten. Deshalb haben wir eine Reformkommission ins Leben gerufen. Zum Kernteam gehören die Professoren Dr. Justus Haucap, Dr. Ferdinand Wollenschläger und Dr. Stephan Hartmann. Damit haben wir einen renommierten Ökonomen und einen juristischen Experten. Prof. Dr. Hartmann ist mathematischer Philosoph und einer der führenden Wissenschaftler in der formalen Erkenntnistheorie und der Wissenschaftstheorie.

Sie legen gemeinsam fest, welche zusätzlichen Experten für welches Thema eingebunden werden. Im Vorfeld des ersten Treffens haben viele verschiedene Gruppen und Personen, die sich mit dem G-BA und dessen Entscheidungsfindung auseinandersetzen, uns ihre Arbeiten, Positionen und Veröffentlichungen geschickt und ihre Zusammenarbeit angeboten. An der großen Resonanz sehen wir, dass das thema sehr aktuell ist und ein großer Handlungsdruck von vielen Seiten besteht.

Welche „Kriterien“ muss ein Experte erfüllen, um hinzugezogen zu werden?

Bei der Auswahl der Experten, die hinzugezogen werden sollen, achtet das Kernteam darauf, dass sie für das Thema qualifiziert und nicht durch Interessensgruppen beeinflusst sind.

Wie sieht der Zeitplan der Erarbeitung aus und mit welchen Themenschwerpunkten befasst sich die Expertengruppe?

Die Themenschwerpunkte für die Kommission ergeben sich aus der Studie. In puncto Gemeinwohlorientierung, also Repräsentativität, Art der Entscheidungsfindung, Governance und Vertrauensgutproblematik. Bezüglich Innovationsoffenheit wird ein Punkt die Fokussierung auf die Evidenzbasierung sein.

Gibt es schon erste Ergebnisse?

Die Reformkommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Die Ergebnisse werden am Ende gesammelt veröffentlicht.

Sie hatten den G-BA eingeladen, an Reformüberlegungen mitzuarbeiten, hatten aber zunächst keine Antwort erhalten. Welche Reaktion gab es seit der Studienpräsentation auf ihre Einladung seitens des G-BA?

Die Stiftung und die Reformkommission sind an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem G-BA im besten Sinne des Patientenwohls interessiert. Inzwischen sind wir im Austausch.