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„Europa ist wichtiger denn je“

Die Europawahlen am 26. Mai sind die wohl wichtigsten in der Geschichte der EU. Ihr Ausgang wird auch ein entscheidendes Signal für die zukünftige Gesundheitsversorgung der Unionsbürger sein. Umso eindringlicher wirbt Tiemo Wölken, SPD Europaabgeordneter, für den Gang zur Urne.

Foto: Tiemo Woelken

Zur Person
Tiemo Wölken (33) ist einer der jüngsten Abgeordneten im europäischen Parlament. Der Rechtsanwalt sitzt seit 2016 für die Sozialdemokraten im europäischen Parlament. Wölken ist gesundheitspolitischer Sprecher der SPD Europa, Mitglied des Haushaltsausschusses und stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss und im Ausschuss für Umweltfragen, Lebensmittelsicherheit und öffentliche Gesundheit.

 

Das Interview entstammt der Ausgabe 01/19 des BPI-Pharmareports.

 

Pharmareport: Die meisten Bürger wollen Europa. aber sie wollen es anders, bürgernäher, spürbarer. Übersehen die Menschen das gewinnbringende der europäischen Gesundheitspolitik?

Tiemo Wölken: Viele Bürgerinnen und Bürger sehen wohl in der Tat keine Verknüpfung zwischen Gesundheitspolitik und der EU. Sie sind in dem Glauben, in diesem äußerst wichtigen Bereich seien alleine die Mitgliedstaaten zuständig. Das ist jedoch ein Trugschluss. Die EU klärt nicht nur über Gesundheitsgefahren auf, sondern ist etwa auch für die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von menschlichen Krankheiten und die Bekämpfung von schweren und seltenen Krankheiten, die weit verbreitet sind, zuständig. Allerdings dürfen Vorgaben in diesen Bereichen nicht bindend sein. Die Bekämpfung von AMR, sichere und hochwertige Medizinprodukte oder gemeinsame Impfstrategien sind nur wenige Beispiele, die nur Dank europäischer Zusammenarbeit möglich sind.

Die Rolle der europäischen Union in der Gesundheitspolitik sei hauptsächlich die eines Moderators und Motivators, so CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich. Beschreibt das ihre Auffassung von europäischer Gesundheitspolitik?

Die Wichtigkeit der europäischen Gesundheitspolitik wird oft unterschätzt. Meiner Meinung nach ergänzt die europäische Gesundheitspolitik die der Nationalstaaten. Gleichzeitig werden aufgrund der europäischen Kooperation Standards innerhalb der EU angepasst und verbessert. Die Kommission unterstützt die Mitgliedsländer bei der Verwirklichung der gesetzten Ziele und bündelt die Ressourcen europaweit. Herausforderungen werden als Union bewältigt und nicht allein. Letztendlich machen zum Beispiel Epidemien nicht an der Grenze halt.

Mitunter wird Europa eigenmächtige Aktivitäten unterstellt, die nur dann gerechtfertigt seien, wenn diese für den Gesundheitsschutz der EU-Bürger unbedingt erforderlich sind. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Leider werden gerade gesundheitspolitische Projekte von den Mitgliedstaaten häufig nur halbherzig begleitet oder sogar verzögert. Zwei besonders ärgerliche Beispiele sind die langjährigen Verhandlungen zur Medizinprodukte-Verordnung oder die Verhandlungen zur Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA). Auf europäischer Ebene müssen wir immer die richtige Balance finden, so dass einerseits die Subsidiarität gewahrt bleibt, die Bürgerinnen und Bürger andererseits aber den größten Nutzen aus unserer Gesundheitspolitik ziehen können. Die europäische Gesundheitspolitik schafft jedoch nicht nur Rechtsvorschriften und Normen für Gesundheitsprodukte, sondern stellt auch Gelder für Projekte und Forschung und Entwicklung zur Verfügung. Dank europäischer Kooperation sorgen wir dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger immer den gleichen Zugang zu bezahlbaren Medikamenten und gleichzeitig die bestmögliche Behandlung erhalten, ganz egal wo sie sich gerade befinden.

Was kann die europäische Gesundheitspolitik tatsächlich leisten? 

Skandale, wie der, der fehlerhaften Brustimplantate in Frankreich oder der, der illegal gehandelten Krebsmedikamente des Händlers Lunapharm, zeigen, dass wir auf europäischer Ebene, für den ganzen Binnenmarkt, wichtige Standards setzen müssen und so für mehr Sicherheit für Patienten sorgen können. Unser wichtigstes Ziel ist es, Patienten vor fehlerhaften oder gering getesteten Arzneimitteln und Medizinprodukten zu schützen, und das in der gesamten EU. Europas Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, gut versorgt zu werden. Sie müssen sich nicht nur darauf verlassen können, dass sie medizinisch einwandfrei behandelt werden, sondern auch darauf, dass wir in der EU die höchsten Standards bei Medizinprodukten und Arzneimitteln wahren. Deswegen ist es gut und richtig, Arzneimittelfälschungen in der Lieferkette zu verhindern, und Regeln zum Parallelimport zu haben.

Die Europawahl ist die wohl wichtigste in der Geschichte der Staatengemeinschaft. und noch wichtiger ist, dass die Menschen zur Wahlurne gehen. Warum sollten sich alle motivieren zu wählen?

Gesundheitspolitik ohne Europa bedeutet ungleichen Zugang zu notwendigen Arzneimitteln je nach Herkunftsland und Stadt. Es ist die EU-Gesetzgebung, die eine flächendeckende Versorgung mit sicheren und hochwertigen Medikamenten garantiert. Ohne die EU könnten sich Patientinnen und Patienten zum Beispiel im Urlaub nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Medikament, welches sie beispielsweise in Deutschland kaufen, auch in Spanien vorhanden ist. Dank europäischer Gesetzgebung kann die große Reiseapotheke also beruhigt zu Hause bleiben. Für mich persönlich ist die Europäische Union unsere Zukunftsversicherung. Ein Einigeln im Nationalstaat hilft niemandem. Damit der Anteil der Nationalisten im Europäischen Parlament möglichst gering ausfällt, müssen alle Pro-Europäer dieses Mal zur Wahl gehen. Diese Wahl wird entscheiden, ob wir auch weiterhin Fördergelder in medizinische Forschung und Entwicklung, in die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit oder Umweltschutz investieren oder ob diese Gelder für Grenzsicherung und Abschottung ausgegeben werden.

Zeichnen Sie ihr Bild von der zukünftigen europäischen Gesundheitspolitik: Welche Weichen müssen gestellt werden?

In der kommenden Legislaturperiode wird es viele gesundheitspolitische Themen geben. Einen Schwerpunkt wird das Vorantreiben von digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich bilden. Der immer größere Einfluss von eHealth auf unsere Gesundheitssysteme wird von grundlegender Bedeutung für die Art und Weise sein, wie wir in Zukunft eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung erreichen. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit personenbezogenen Daten. Die Digitalisierung verspricht viele Möglichkeiten für die Zukunft, wie bessere Diagnosen, eine höhere Wirksamkeit der derzeitigen Behandlungsmethoden und die Suche nach neuen Heilmethoden mit weniger Aufwand und Kosten als bei herkömmlichen Forschungsmethoden. Die Digitalisierung wird ferner besonders bei seltenen Krankheiten eine bedeutende Rolle spielen. Durch die geringe Anzahl an betroffenen Menschen wird es immens wichtig, Daten zu sammeln, und grenzüberschreitend zusammen zu arbeiten. Der Datenschutz im Gesundheitsbereich und die Sicherheit der Patientendaten dürfen nicht nur als Innovationshemmnis gesehen werden, sondern müssen integraler Bestandteil der Entwicklung sein. Diese kann nur durch eine koordinierte, sorgfältige und wirksame EU-Regulierung erreicht werden.