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Marktstudien: Hat die Inflation Einfluss auf den OTC-Markt?

Aufgrund der anhaltenden Inflation stellen auch Gesundheitsunternehmen ein verändertes Kaufverhalten ihrer Kundschaft fest und verzeichnen damit einhergehende Umsatzeinbußen. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. hat in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsnetzwerk Loge8 eine dreistrangige Befragung durchgeführt und zeichnet ein Stimmungsbild für Endverbraucher, Apotheken und OTC-Hersteller.

Die OTC-Branche erhoffte sich mit dem Ende pandemiebedingter Schutzmaßnahmen im vergangenen Jahr endlich wieder eine Markterholung. Die Coronakrisenjahre führten bei zahlreichen Herstellern von Arzneimitteln der Selbstmedikation zu erheblichen Absatz- und Umsatzeinbrüchen. Doch nach drei schweren Jahren hat sich der OTC-Markt in Deutschland wieder erholt und befindet sich auf einem Vor-Pandemie-Niveau. Das zeigen die BPI OTC-Daten 2023. Der Absatz mit Arzneimitteln für die Selbstmedikation stieg 2022 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent auf knapp eine Milliarde Packungen an. Der Umsatz wuchs um knapp zehn Prozent auf 10,5 Milliarden Euro.

Anhaltend erlebt Deutschland jedoch seit Beginn des Ukraine-Kriegs Anfang 2022 eine Inflation in besonderem Ausmaß. In zahlreichen Branchen stellen Unternehmen ein verändertes Kaufverhalten ihrer Kundschaft fest und verzeichnen damit einhergehende Umsatzeinbußen. Auch im Gesundheitsmarkt sind Veränderungen zu beobachten. Doch inwieweit hat sich das OTC-Käuferverhalten durch die gestiegene Inflation verändert? Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich seit Herbst 2022 der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsnetzwerk Loge8.

Gemeinsam entstand die Idee einer dreistrangigen Befragung in zwei Wellen (1. Welle: 4. Quartal 2022/Anfang 1. Quartal 2023; 2. Welle: 2. Quartal 2023), in die sowohl Endverbraucher, Apotheken als auch OTC-Hersteller einbezogen wurden.


Vor-Ort-Apotheke ist bevorzugter OTC-Einkaufsort

Kernfrage der Verbraucherumfrage über die xeomed-Plattformen war: „Hat sich Ihr Kaufverhalten für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel aufgrund der Inflation geändert beziehungsweise werden Sie es ändern?“. Hier gab es in der ersten Welle der Erhebung ein klares Votum der Verbraucher: 59 Prozent sagten „Nein“ (siehe Abb.1). Sie haben und werden ihr Kaufverhalten nicht verändern. 21 Prozent der Befragten konnten die Frage nicht klar beantworten und waren sich unsicher. 20 Prozent der Befragten hingegen gaben an, ihr Einkaufsverhalten inflationsbedingt geändert zu haben. Letztere kaufen entweder weniger OTC-Arzneimittel ein (54 Prozent), kaufen günstiger (39 Prozent) oder kaufen mittlerweile woanders als vorher (4 Prozent).

Doch auch für den Fall, dass in Zeiten eines knappen Haushaltsbudgets weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, würde die Mehrheit der Befragten OTC-Arzneimittel weiterhin kaufen, wenn Leidensdruck besteht – 62 Prozent nannten zur Linderung von Beschwerden wie starke akute Kopfschmerzen, beziehungsweise weil sie einfach notwendig sind, um Krankheiten zu heilen oder vorzubeugen.

Die Ergebnisse zeigen, dass anders als im klassischen Konsumgüterbereich, die intrinsischen Motive beim Kauf von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten auf echtem Leidensdruck basieren. Insgesamt hat das Verhalten der Verbraucher und auch deren wirtschaftliche Situation einen hohen und direkten Einfluss auf das OTC-Marktsegment. Der Selbstkauf von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln – ohne eine ärztliche Verordnung – beläuft sich auf einen Anteil von 85 Prozent. Interessant ist auch: 63 Prozent der Endverbraucher gaben an, trotz ihrer Onlineaffinität bevorzugt in der Vor-Ort-Apotheke einzukaufen. Nur ein Fünftel der Befragten (20 Prozent) bezieht OTC-Arzneimittel über Online-Apotheken. Darüber hinaus kaufen elf Prozent der Endverbraucher im Drogeriemarkt und sechs Prozent bei Amazon. Endverbraucher kaufen OTC-Arzneimittel vorwiegend für akute Erkrankungen (52 Prozent), für die Prävention (25 Prozent) und gegen chronische Erkrankungen (21 Prozent).

Apotheken sind bei OTC-Käuferverhalten gespalten

Mit ähnlichen Fragestellungen wie bei den Endverbrauchern wurden im gleichen Zeitraum in einer ersten Befragungswelle auch Apotheken zur Veränderung des Endverbraucher-Kaufverhaltens aufgrund der Inflation befragt. 160 Apotheken in Deutschland wurden durch den Außendienst der Apovid (vor Ort) und durch den Vertrieb von betterbyphone (telefonisch) befragt (Abb. 2).

Bei der Kernfrage, ob sich das Kaufverhalten ihrer OTC-Kunden aufgrund der Inflation geändert habe, gingen die Einschätzungen der Apotheken auseinander. 47 Prozent sagten „Nein“, wobei Apotheken mit einem hohen OTC-Anteil hier etwas optimistischer abstimmten als vornehmlich Rx-Apotheken. Insgesamt lag die Abgabe der rezeptpflichtigen Arzneimittel in den Apotheken mit zwei Drittel Anteil im Gegensatz zu einem Drittel OTC-Anteil weit vorn.

49 Prozent der Apotheken sind jedoch der Ansicht, dass sich das Kaufverhalten ihrer OTC-Kundschaft aufgrund der Inflation verändert hat. Sie gehen davon aus, dass ihre Kunden versuchen günstiger einzukaufen (40 Prozent), weniger kaufen (37 Prozent) und auf andere Kanäle ausweichen (27 Prozent). Hier waren Mehrfachnennungen möglich.

Die restlichen vier Prozent der Apotheken konnten nicht sagen, ob sich das OTC-Käuferverhalten geändert hat. Die meisten nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel wurden aus Sicht der Apotheken für akute Krankheiten, gefolgt von chronischen Krankheiten und an letzter Stelle zur Prävention gekauft.

Stimmung der OTC-Hersteller Anfang 2023 getrübt

Um den Dreiklang der Umfrage zu vervollständigen, fand im gleichen Zeitraum eine Befragung von OTC-Herstellern über ein Online-Tool des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie statt. 42 Unternehmen nahmen teil. Der Anteil an OTC-Herstellern mit Produkten der Selbstmedikation für akute Krankheiten, chronische Krankheiten und für die Prävention war relativ ausgewogen. Für das erste Halbjahr 2023 erwartete mehr als die Hälfte der Hersteller (56 Prozent) einen rückläufigen Verkauf von OTC-Produkten aufgrund der Inflation (Abb. 3). Als Grund für den Rückgang nannten 19 Unternehmen knappere Haushaltsbudgets, 17 Hersteller die Verunsicherung der Bevölkerung aufgrund der Krise und 14 Unternehmen führten beide Aspekte an. Lediglich 38 Prozent der Hersteller gingen davon aus, ihre Verkaufszahlen halten zu können. Sechs Prozent waren zum Befragungszeitraum (Ende 2022/Anfang 2023) unsicher, wie sich der Markt entwickeln wird. Über alle drei Befragungsstränge betrachtet, gingen die OTC-Hersteller somit in der ersten Befragungswelle Ende 2022 von recht negativen Entwicklungen für den Selbstmedikationsmarkt aus.


Stimmung dreht sich im ersten Halbjahr 2023

Im ersten Halbjahr 2023 lag die Inflation mit Werten zwischen 6,1 und 8,7 Prozent weiterhin auf historisch hohem Niveau in Deutschland. Der BPI und die Loge8 stellten sich die Frage, ob sich der Eindruck des Käuferverhaltens im Frühjahr 2023 anders darstellen würde als im Winter 2022. Gibt es einen stärkeren Sparzwang in der Bevölkerung, der sich auch auf OTC-Arzneimittel auswirkt? Oder wird es einen Gewöhnungseffekt an die Inflation und somit eine Normalisierung der Ausgaben geben? Wie auch im Winter 2022/2023 wurden im Zeitfenster Mitte April bis Mitte Juni 2023 sowohl Endverbraucher, Apotheker als auch OTC-Hersteller erneut mit den gleichen Fragen zum Kaufverhalten von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln befragt.

Das Ergebnis: Bei den Endverbrauchern (1.263 Personen in der Zweitbefragung) entsprachen die Antworten weitestgehend den Ergebnissen aus der Erstbefragung. Weiterhin bleibt die Vor-Ort-Apotheke der bevorzugte Einkaufsort für OTC-Arzneimittel (61 Prozent aller Befragten). Hauptsächlich kaufen Verbraucher nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel (die Hälfte aller Befragten) für akute Krankheiten. Mehr als die Hälfte aller Befragten (55 Prozent) geht nicht davon aus, das eigene Einkaufsverhalten aufgrund der Inflation zu verändern. 22 Prozent der Verbraucher hingegen gaben an, ihr Kaufverhalten bereits geändert zu haben beziehungsweise vorhaben, dieses zu verändern. Im Vergleich zur ersten Befragungswelle gab es hierbei leichte Abweichungen, inwiefern sie ihr Kaufverhalten ändern wollen. Der Anteil der Verbraucher, die weniger kaufen wollen, stieg von 54 Prozent bei der Erstbefragung auf 66 Prozent in der zweiten Welle an. Andererseits fiel der Wert derjenigen, die günstiger einkaufen wollen, um 13 Prozent auf 26 Prozent der Verbraucher. Insgesamt betrachtet, plant, somit nur noch ein Viertel der befragten Endverbraucher, ihr Kaufverhalten zu verändern.


Hersteller optimistisch, Apotheker eher pessimistisch

An der zweiten Welle der Apothekenbefragung nahmen 219 Apotheken teil. Die Gewichtung der Apotheken mit Rx-OTC-Verteilung war identisch zur Erstbefragung. Den mit Abstand höchsten Anteil am OTC-Kauf machten die Präparate für akute Krankheiten aus. Waren die Apotheken im Winter 2022/2023 noch unentschieden, ob sich das Kaufverhalten ihrer OTC-Kunden geändert hatte, so zeichnete sich in der zweiten Befragungswelle ein klareres Bild ab. 62 Prozent der befragten Apotheken beschrieben eine negative Veränderung beim Kaufverhalten ihrer OTC-Kundschaft. Auch in Bezug auf die Art der Veränderung fielen die Antworten negativer aus als bei der ersten Befragungswelle im Winter. 56 Prozent der Apotheken gaben an, dass weniger gekauft wird (vgl. 1. Befragungswelle: 37 Prozent), 54 Prozent gaben an, es wird günstiger gekauft (vgl. 1. Befragungswelle: 40 Prozent) und 35 Prozent gehen von einer Abwanderung in andere Kanäle aus (vgl. 1. Befragungswelle: 27 Prozent), wobei hier Mehrfachnennungen möglich waren.

Auf Seiten der OTC-Hersteller war die Stimmungslage im ersten Halbjahr 2023 weit optimistischer als im Winter 2022/2023. Insgesamt 28 Hersteller nahmen an der zweiten Befragungswelle teil, darunter mehr Hersteller mit Akutsortiment (44 Prozent) und weniger mit Produkten für die Prävention (16 Prozent). Im Rahmen der ersten Befragung erwarteten 56 Prozent der Hersteller für das erste Halbjahr 2023 einen Umsatzrückgang für OTCs. In der zweiten Umfragewelle verbuchten nur noch knapp 15 Prozent einen reduzierten Verkauf von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im ersten Quartal 2023 aufgrund der Inflation. Und auch der Blick in die Zukunft ist optimistisch: 70 Prozent der Hersteller erwarten für das zweite Quartal 2023 keine Auswirkungen auf ihren OTC-Umsatz durch ein verändertes Kaufverhalten. Damit hat sich die Beurteilung der Lage durch die OTC-Hersteller deutlich ins Positive verschoben.


Nachlassen der Inflation und weiter Lieferengpässe

Optimismus zeichnet sich also bei den OTC-Herstellern ab. Nach schweren Coronajahren und einer deutlichen Markterholung seit 2022 hoffen nun Unternehmen, dass sich die Abverkäufe langfristig normalisieren. Allerdings: Die Inflation hält vorerst an. Pharmazeutische Unternehmen stehen folglich immer noch unter Druck. Vor allem die vielen kleinen und mittelständisch geprägten OTC-Hersteller in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen, da sich die Erzeugerpreise 2022 um 32,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht haben – ein negativer Rekordwert seit Beginn der Aufzeichnungen. Die aktuellen Prognosen des ifo-Instituts lassen jedoch auf eine nachlassende Inflation für das kommende Jahr 2024 hoffen. Und somit auch auf eine stärkere Kaufbereitschaft der Endverbraucher. Letztere sehen nach wie vor die Vor-Ort-Apotheke als den wichtigsten Kaufort für OTC-Arzneimittel an und wollen auch zukünftig in der Offizin kaufen. Sofern sie inflationsbedingt weniger OTC-Arzneimittel erwerben, kaufen sie nicht grundlegend weniger Packungseinheiten, aber kleinere Packungsgrößen.

Entscheidend auf Seiten der Apotheken ist auch, dass die gewünschten Arzneimittel überhaupt lieferfähig sind. Denn die Lieferengpassproblematik ist trotz verabschiedeter Gesetze bisher nicht gelöst. Zudem haben viele Apotheken mit einem akuten Personalmangel zu kämpfen. Eine recht pessimistische Sicht auf das Selbstmedikationssegment und die Verschiebung der Aussagen der Apotheken von der ersten Befragungswelle hin zur zweiten muss daher auch immer im Kontext der Gesamtlage in der Offizin betrachtet werden.
 

Studiendesign

FRAGESTELLUNG:

Ändert sich das Kaufverhalten im OTC-Segment aufgrund der historisch hohen Inflation?

ZEITRAUM:

  • 1. Welle: 4. Quartal 2022/Anfang 1. Quartal 2023
  • 2. Welle: 2. Quartal 2023

BEFRAGUNG:

  • 1.123 (1. Welle) und 1.263 (2. Welle) Endverbraucher über xeomed-Plattform (online)
  • 160 (1. Welle) und 219 (2. Welle) Vor-Ort-Apotheken über Apovid (vor Ort) und betterbyphone (telefonisch)
  • 42 (1. Welle) und 28 (2. Welle) OTC-Hersteller über BPI-Plattform (online)

VERBRAUCHERSTRUKTUR:

  • 64% weiblich, 28% männlich, 8% keine Angabe
  • 20% 34 Jahre und jünger
  • 57% 35 bis 64 Jahre
  • 19% 65 Jahre und älter
  • 4% keine Angabe

 

Autoren

Anja Klauke ist Geschäftsfeldleiterin Selbstmedikation beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Mit über 20 Jahren Erfahrung im Marketing und in der Verbandsarbeit verfügt sie über eine fundierte Expertise sowohl für Markt- als auch für Politikthemen. Beim BPI leitet sie den Ausschuss Selbstmedikation und steht im engen Austausch mit den OTC-Herstellern.

Tino Niggemeier ist Managing Partner der Online-Marketing-Agentur xeomed GmbH mit Sitz in Nürnberg. 2009 hat er die Agentur mit Fokus auf die Healthcare-Branche gegründet. Niggemeier und seine Spezialisten entwickeln mit Healthcare-Stakeholdern, unter anderem herstellenden Rx- und OTC-unternehmen, Digital-Strategien und setzen diese um.

Katharina Schmidtke ist seit 2018 geschäftsführende Gesellschafterin der betterbyphone GmbH & Co. KG, einem Anbieter für Telesales im Gesundheitswesen mit Sitz in Bamberg. Die Betriebswirtin und Wirtschaftsjuristin gehört darüber hinaus zum Vorstand der Healthcare Frauen e.V., einem Businessnetzwerk von weiblichen Führungskräften in Gesundheitswesen und -wirtschaft.

Weitere Informationen zum Thema "Selbstmedikation" finden Sie in der BPI-Themenwelt Selbstmedikation.