Dennoch schlägt die Diskussion um die „vertraulichen“ Erstattungsbeträge medial Wellen und wird dabei teilweise hysterisch geführt. So wird nun selbst das EU-HTA (European Health Technology Assessment) als Begründung bemüht, eine Vertraulichkeit abzulehnen. Das ist nicht nur evidenzfrei, sondern auch noch an den Haaren herbeigezogen. Das EU-HTA ist eine gemeinsame klinische Bewertung von Arzneimitteln auf EU-Ebene, die Zuständigkeit für Preise ist überhaupt nicht Teil des Verfahrens. Sie bleibt nämlich rein national. Ebenso wie die Ableitung eines Zusatznutzens rein national bleibt, das EU-HTA bietet hierzu aber die wesentliche zu berücksichtigende Grundlage. Es ist also ohne Einschränkungen möglich, im EU-HTA eine gemeinsame klinische Bewertung vorzunehmen, auf deren Basis jeder Mitgliedstaat eigenständig über das Ausmaß des Zusatznutzens bestimmt und auch Erstattungsbeträge verhandelt beziehungsweise festgelegt werden. Und es ist und bleibt eine rein nationale Entscheidung, ob diese Preise öffentlich sind oder nicht. Auf das EU-HTA hat die Vertraulichkeit von Erstattungsbeträgen in Deutschland keinerlei Einfluss.
EU-HTA: Fehlende Harmonisierung ist das Problem – nicht ein „vertraulicher“ Erstattungsbetrag
Es gibt allerdings in der Tat ein Problem, das sich abzeichnet: Im EU-HTA wird trotz des zu verwirklichenden Harmonisierungsgedankens jeder Mitgliedstaat sein eigenes Süppchen kochen. Deswegen ist eine Vielzahl von unterschiedlichen, möglicherweise ähnlichen, aber nicht identischen Fragestellungen in sehr kurzer Zeit zu untersuchen und in einem Dossier vom pharmazeutischen Unternehmer zusammenzustellen. Das zeichnet sich aber bereits heute ab, wie die ersten Konsolidierungsversuche der HTA-Behörden in aktuell stattfindenden Pilotprojekten zeigen – und aktuell gilt in Deutschland noch, dass Erstattungsbeträge in jedem Fall öffentlich sein müssen. Insofern hängt das Problem unharmonisierter und dadurch überbordender Anforderungen im EU-HTA nicht mit der Frage der Vertraulichkeit zusammen, sondern am Kantönligeist der HTA-Agenturen der Mitgliedstaaten. Es ist unredlich so zu tun, als sei die Industrie an diesem Zustand selbst schuld oder trage gar dazu bei, indem sie sich für vertrauliche Erstattungsbeträge ausspricht.
Vertraulichkeit ist Usus in Europa
Die Bundesregierung hat klargestellt, dass Deutschland „in der EU das einzige Mitgliedsland mit einer vergleichbaren Transparenz der Arzneimittelpreise ist. Deutschland gleicht mit der Ermöglichung der Vertraulichkeit daher einen Wettbewerbsnachteil im Wettbewerb mit praktisch allen vergleichbaren Ländern aus, die von je her vertrauliche Preise für neue Arzneimittel vereinbart haben.“
Auch das Argument, vertrauliche Erstattungsbeträge beeinträchtigen die Marktverfügbarkeit von Produkten in anderen EU-Staaten, trägt nicht. Dass Produkte in anderen EU-Ländern nicht verfügbar sind, hat vielfache Ursachen – zu denen vor allem auch die Leistungsfähigkeiten der jeweiligen Sozialversicherungssysteme gehören. Nicht nur die Arzneimittelversorgung, sondern auch die Behandlungsangebote im ambulanten wie im stationären Bereich sind in vielen EU-Staaten nicht mit der Situation in Deutschland vergleichbar. Es ist evidenzfrei zu behaupten, dass für diese bereits seit langem bestehenden Disparitäten die Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags ursächlich sein soll. Vor allem, da vertrauliche Preise EU-weit die Regel und nicht die Ausnahme sind – und Deutschland insofern zu den Ausnahmen gehört.
Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags sinnvolle Option – Herausforderungen liegen woanders
Die beabsichtigte Option eines „vertraulichen Erstattungsbetrags“ schafft einzelfallbezogen Flexibilität im Verhandlungsprozess und ist insofern für besondere Therapiesituationen geeignet, eine Versorgung zu ermöglichen, wenn aufgrund der internationalen Preisreferenzierung die Verfügbarkeit neuer Therapieansätze in Deutschland ansonsten gegebenenfalls nicht möglich wäre. Da wie oben dargestellt, ein Ausgleichsanspruch für zu viel gezahlte Beträge gegen den pharmazeutischen Unternehmer besteht, wird seine Erlössituation bei Inanspruchnahme der Option zusätzlich geschmälert. Es ist allein vor diesem Hintergrund von einer zurückhaltenden Nutzung der Option auszugehen.
Die aktuellen Regelungen zur Preisbildung für innovative Therapien stehen vor erheblichen Herausforderungen, die dringend einer gesetzlichen Korrektur bedürfen. Im Zentrum dieser Problematik stehen die neuen AMNOG-Leitplanken und die Kombinationsabschläge. Diese durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) geschaffenen Regelungen haben zur Folge, dass innovative Therapien oft nicht mehr angemessen honoriert werden. Hier liegen aktuell die größten Schmerzpunkte der Preisbildung und das haben wir wiederholt als BPI deutlich gemacht.