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Die Interventionsspirale dreht sich weiter

Mehr Mut und Experimentierfreudigkeit, eine bessere Steuerung der Patienten und weniger Kontrolle der Ärzte, das würde dem deutschen Gesundheitswesen nach Ansicht von Prof. Dr. Andreas Schmid gut tun. Der Ökonom befürchtet allerdings, dass sich die neue Regierung verzettelt.

Foto: Prof. Dr. Andreas Schmid

Zur Person
Prof. Dr. Andreas Schmid (35) hat seit 2013 eine Juniorprofessur im Bereich Gesundheitsmanagement an der Universität Bayreuth inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind, neben Management im Gesundheitswesen, gesundheitsökonomische Fragestellungen, wie zu Versorgungsstrukturen und den damit einhergehenden Vergütungs- und Anreizsystemen.

 

Das Interview entstammt der Ausgabe 02/18 des BPI-Pharmareports.

 

Pharmareport: Gesundheitsversorgung scheint immer seltener an dem Wert gut oder fortschrittlich gemessen zu werden. Vielmehr wird immer öfter die Frage nach der Finanzierbarkeit von Leistungen gestellt. Haben wir grund zur Sorge?

Prof. Dr. Andreas Schmid: Der Begrenztheit unserer Ressourcen müssen wir uns bewusst sein. Deshalb muss der Aspekt Eingang in Entscheidungen finden. Man darf aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten: Nicht alles, was viel kostet, ist schlecht und vieles, was wenig kostet, hat einen hohen Wert in der Gesundheitsversorgung. Meines Erachtens wird die Diskussion häufig zu eng geführt und auf messbare, möglichst gut kontrollierbare und direkte Folgen beschränkt.

Das Gesundheitssystem zeichnet sich jedoch durch seine zahlreichen und zum Teil nur schwer greifbaren Interdependenzen aus: Was sind die langfristigen Folgen, wenn wir durch die zunehmende Zentralisierung Monopole schaffen? Wie erfassen wir den Schaden, der den Patienten entsteht, wenn der deutsche Gesundheitsmarkt manchen Anbietern – ob berechtigt oder unberechtigt sei dahingestellt – als zu wenig attraktiv erscheint? Und hier meine ich nicht einmal vorrangig die Vergütung von Arzneimitteln, sondern auch Rahmenbedingungen beispielsweise für digitale Angebote. Auch weiche Faktoren, wie die subjektive Bewertung von Qualität durch die Betroffenen, erfährt zu wenig Gewicht.

Früher hielten die Mediziner die Deutungshoheit über die richtige und angemessene Versorgung der Menschen. Haben Ärzte heute noch diesen Interpretationsspielraum?

Das Gewicht hat sich hier gravierend verschoben – weg von einem eminenz-, hin zu einem evidenzbasierten Ansatz. Dies ist per se nicht negativ, in weiten Teilen auch einfach notwendig. Allerdings gilt es auch hier, Maß und Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Ärzte sind hochqualifiziert und müssen nicht bei jedem Handgriff kontrolliert werden. Ökonomisch gesprochen ist der grassierende Kontrollwahn schlichtweg ineffizient, ganz abgesehen davon, dass häufig auch die Freude an der Berufsausübung durch einen zu hohe Regulierungsdichte getrübt wird.

Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass auch die Gesellschaft ihren Teil dazu beiträgt: Bei unerwünschten Ergebnissen muss es immer einen „Schuldigen“ geben, der dann auch zur Rechenschaft gezogen wird. Dass sich manche Bereiche der Gesundheit der absoluten Kontrolle entziehen, wird immer weniger akzeptiert.

Der Staat gibt nur einen Rahmen für die Gesundheitsversorgung der Menschen vor. reicht das in Zukunft aus?

Es wäre sogar wünschenswert, wenn sich der Staat stärker auf die Gestaltung einer robusten, aber sich auf wesentliche Elemente fokussierende Rahmenordnung beschränken würde. Wir sehen derzeit doch genau den Gegenentwurf: Ein Gesetz folgt dem anderen, der Detailgrad der Regulierung nimmt kontinuierlich zu, der Selbstverwaltung bleibt häufig nur noch die Rolle eines ausführenden Organs (der sie allzu oft allerdings auch selbstverschuldet Vorschub leistet) und die Interventionsspirale dreht sich munter weiter. Dahinter steht zum einen ein großes Misstrauen den einzelnen Akteuren gegenüber, und zum anderen ein – in meinen Augen – überzogenes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, alles Erdenkliche kontrollieren zu können.

Totschlagargument jeglicher Wert-Diskussionen: Was gut oder schlecht für die Gesundheit eines Patienten ist, soll evaluiert werden. lässt sich so etwas wie Gesundheit und Lebensqualität eines Menschen objektiv beurteilen?

In Grenzen ja. Und wenn klare Evidenz existiert, dass bestimmte Therapien eine bessere Qualität liefern oder zu deutlich geringeren Kosten dasselbe Versorgungsniveau erreichen, darf man auch eine verbindliche Umsetzung einfordern. Nur ist nicht alles, was ich an einem Patienten messen kann, ein patientenrelevanter Endpunkt.

Patienten lassen sich zudem schlecht auf einen Mittelwert „reduzieren“. Sie sind heterogen, haben unterschiedliche Präferenzen und unterschiedliche Bedürfnisse. Wir wissen, dass oft weiche Faktoren wie die Zeit und Empathie eines Arztes oder die für die Umsetzung einer Therapie notwendige Logistik mindestens so wichtig sind, wie die Qualität eines Wirkstoffs. Die meisten klinischen Studiendesigns fokussieren aber sehr stark auf letzteres und sind noch immer sehr weit von der Versorgungsrealität entfernt.

Gibt es Stellen, an denen das System mit seinem Sparwillen Versorgungslücken produziert?

Ich glaube, dass wir zum Glück bisher noch auf einem sehr hohen Niveau unterwegs sind und unsere Strukturen wenige Lücken zulassen. Häufig ist dann der vielbeschworene „ökonomische Zwang“ auch ein vorgeschobenes Argument, mit dem die kritische Auseinandersetzung mit Prioritäten durch das Weiterschieben des Schwarzen Peters vermieden werden soll. Die Frage müsste eher lauten, welches Niveau der Gesundheitsversorgung wir uns als Gesellschaft leisten wollen und ob wir dieses Niveau auch überall erreichen. Mir scheint, dass hier Versicherte und Patienten häufig auch andere Schwerpunkte setzen würden, als andere Interessenvertreter im System.

Wo kracht es noch im Gebälk der Gesundheitsversorgung?

Die Digitalisierung ist sicherlich eines der drängendsten Themen. Im internationalen Vergleich ist das, was in Deutschland hierzu läuft, zum Teil geradezu peinlich. Zwar gibt es punktuell exzellente Projekte, in der Breite ist allerdings durch fehlende Investitionsbereitschaft einerseits und eine wenig günstige Ausgestaltung der Regulierung andererseits kein Land in Sicht. Generell ist der Umgang mit Daten ein Trauerspiel. Es fehlen beispielsweise seit Jahren gesetzliche Grundlagen, um verschiedene existierende Datensätze zu wissenschaftlichen Zwecken zusammenzuführen. So kommt es, dass ein Datensatz Leistungsdaten enthält, ein anderer Kostendaten, Sie diese aber nicht verbinden dürfen. Wie wollen Sie auf dieser Basis zu informierten und wissenschaftlich fundierten gesundheitspolitischen Entscheidungen kommen?

Alleine, es fühlt sich keiner berufen diese Missstände zu beseitigen, da stets akutere Probleme zu lösen sind. Small statt Big Data lautet hier die Maxime der deutschen Gesundheitspolitik, die offensichtlich lieber im Nebel stochert. Ferner täuscht die exzellente Konjunktur darüber hinweg, dass die Frage der Finanzierung des Gesundheitswesens in einigen Jahren wieder deutlich brisanter sein wird als heute. Die hohe Zahl an gesundheitspolitischen Gesetzgebungsverfahren in der letzten Legislaturperiode ließ sich nur deshalb weitestgehend geräuschlos abwickeln, weil es keiner Interessensgruppe nachhaltig ans Geld ging, das Ausgabenniveau vielmehr sukzessive erhöht wurde. Mittelfristig droht uns dies wieder auf die Füße zu fallen.

Welche Weichen muss die Politik für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung dringend stellen?

Sie sollte sich auf die zentralen Probleme konzentrieren und keine Energie auf Themen wie die Einführung einer Bürgerversicherung verschwenden, die keines unserer drängenden Probleme löst. Ferner sollte man allen Beteiligten wieder etwas mehr Luft zum Atmen geben. Dreht sich die Interventionsspirale zu schnell, leidet die Qualität der Umsetzung. Reguliert man zu viel im Detail, statt sich auf die grundsätzlichen Linien zu beschränken, verzettelt man sich. Es bleibt zu wenig Raum sich grundlegenden Fragen zu stellen, beispielsweise nach einer fundamentalen Reform der Vergütung in der stationären Versorgung.

Das DRG-System hat das deutsche Gesundheitswesen massiv vorangebracht, stößt aber mittlerweile an Grenzen, da der Fokus zu stark auf den Kosten und zu wenig am generierten Wert der Leistung liegt. Derartigen konzeptionellen Fragen sollte wieder intensiver und mutiger nachgegangen werden. Leider sind die derzeit durch den Koalitionsvertrag angestoßenen Impulse im Bereich der stationären Versorgung eher ein Schritt zurück als ein Schritt nach vorne. Die Ausgliederung der Personalkosten aus den DRGs ist der Wiedereinstieg in die Selbstkostendeckung und erzeugt vorhersehbar neue Fehlanreize. Die Ausdehnung der Personaluntergrenzen verstärkt den Trend zur Input-Steuerung und der Pflegekräftemangel lässt sich per Anordnung kaum beheben.