Allergien

Allergien – Alles außer harmlos

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

30 Millionen Menschen in Deutschland sind im Laufe ihres Lebens von Allergien betroffen, Tendenz steigend. Obwohl Allergien damit eine der häufigsten Erkrankungen unserer Zeit sind, werden laut der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) 90 Prozent der Betroffenen nicht adäquat behandelt.

Dabei haben Allergien schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Allergiker haben nicht nur ein Kribbeln in der Nase. Ihre Lebensqualität wird durch die Erkrankung eingeschränkt – sie fühlen sich müde und antriebslos, die Nase läuft konstant und die Augen werden von einem nicht enden wollenden Juckreiz geplagt. Und diese Beschwerden treten nicht nur für ein paar Tage auf, wie eine Erkältung. Allergiker leiden in der Regel wochenlang, häufig sogar das ganze Jahr darunter. In ganz schlimmen Fällen können Allergien sogar tödlich enden, nämlich dann wenn sie einen anaphylaktischen Schock auslösen oder wenn sie Asthma bronchiale zur Folge haben, woran etwa 25 Prozent der unbehandelten Heuschnupfenfälle erkranken. An Asthma sterben pro Jahr 5000 Menschen – und das obwohl es Therapien gibt die das Risiko an Asthma zu erkranken senken können, wie der Allergologe Dr. Kleine-Tebbe im Interview verrät. Neben dem Leid des Einzelnen haben Allergien auch eine große Auswirkung auf die Volkswirtschaft. Laut dem Nationalen Aktionsplan Allergie belaufen sich die indirekten Kosten von Allergien, Fehltage und Produktivitätsrückgänge auf bis zu 151 Milliarden Euro pro Jahr in der Europäischen Union.

In der Zukunft könnten diese Zahlen sogar noch steigen, wie eine Untersuchung von 2013 vermuten lässt: In der sogenannten Wasem-Studie wurde die Versorgungssituation von gesetzlich versicherten Patienten mit allergischen Atemwegserkrankungen untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Patienten, die eine spezifische Immuntherapie erhalten, und die Zahl der allergologisch diagnostizierten Allergiepatienten sinkt, während die Zahl der Patienten die von einer Allergie betroffen sind steigt. Die Versorgung scheint sich also nicht zu verbessern, sondern, im Gegenteil, zu verschlechtern.

Dennoch gibt es gute Nachrichten für Allergiker. Denn zum einen ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Allergikern und allergologisch tätigen Fachärzten in Deutschland noch sehr gut. Zum anderen gibt es Therapien, die helfen. In der Regel müssen Betroffene „nur“ den Weg zum Facharzt finden – was zu selten passiert. Dieser kennt sich mit den Ursachen und Beschwerden aus und kann, je nach Einzelfall, eine wirkungsvolle Therapie in die Wege leiten. Das wird auch im Interview mit dem Allergologen Dr. Kleine-Tebbe deutlich. Mit ihm haben wir u.a. über mögliche Therapien und Allergieprävention gesprochen. Darüber hinaus informieren wir auf den folgenden Seiten über die Ursachen von Allergien, die verschiedenen Allergie-Typen, über Zahlen und Fakten.

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Ihr BPI-Presseteam

Allergien sind Überempfindlichkeitsreaktionen des Körpers. Bei Allergikern reagiert das Immunsystem auf Stoffe, die eigentlich harmlos sind. Doch Allergie ist nicht gleich Allergie. Es gibt vier verschiedene Allergietypen, die sich danach unterscheiden, wie die Immunreaktion des Körpers ausfällt.

Bei Typ-I-Reaktionen (Soforttyp), reagiert das Immunsystem mit der Bildung von Immunglobulin E (IgE)-Antikörpern auf eindringende Allergene. Diese Antikörper richten sich jeweils gegen ein spezifisches Allergen (Pollen, Tierhaare, Insektengifte, etc.). Man spricht daher von spezifischen IgE. Kommt das Immunsystem zum ersten Mal mit einem Allergen in Kontakt, erfolgt zunächst keine allergische Reaktion. Es werden „nur“ IgE-Antikörper gebildet, die sich auf Entzündungszellen (sog. Mastzellen) setzen. Diesen Prozess nennt man Sensibilisierung. Kommt das Immunsystem nun zum zweiten Mal mit dem Allergen in Kontakt, verbinden sich die Allergene mit den Antikörpern auf den Mastzellen. Diese setzen dann Entzündungsmediatoren, wie beispielsweise Histamin, frei, was zu einer Entzündung oder Schwellung von Haut und Schleimhaut führt. Da diese Reaktionen innerhalb von wenigen Sekunden, bis hin zu vier bis sechs Stunden erfolgen, spricht man hier vom Soforttyp. Typische Auslöser sind beispielsweise Pollen, Tierhaare, Insektengift oder Nüsse. Ungefähr 90 Prozent der Allergiker gehören zu Typ-I.

Bei Typ-II-Reaktionen (zytotoxischer Typ) binden sich körperfremde Antigene direkt an eine Zelle, wodurch sie selbst zu einem Antigen wird. Bei der Bekämpfung dieses Antigens werden aber auch andere Zellen geschädigt. Deshalb spricht man hier vom zytotoxischen Typ (zyto = Zelle, toxisch = giftig). Klassische Auslöser sind Medikamente.

Bei Typ-III-Reaktionen (Immunkomplextyp) bilden Allergene und Antikörper mehrgliedrige Komplexe, sogenannte Immunkomplexe. Bei der Bekämpfung dieser Immunkomplexe wird auch das umliegende Gewebe geschädigt. Typische Auslöser sind verschiedene Schimmelpilze und Medikamente. Da die ersten Symptome erst nach einigen Stunden oder Tagen auftreten, spricht man hier vom verzögerten Typus.

Typ-IV-Reaktionen (Spättyp) funktionieren ganz anderes als die drei vorherigen Typen. In diesem Fall reagieren körpereigene Abwehrzellen auf die eindringenden Allergene. Dabei setzen sie Botenstoffe frei, die zu lokalen Entzündungen führen. Da diese Reaktionen erst nach 12 bis 72 Stunden auftreten, spricht man hier vom Spättyp. Typische Auslöser für diesen Typ sind beispielsweise Haushaltschemikalien, oder Metalle wie Nickel, Chrom und Kobalt. Nach Typ-I kommen Typ-IV-Reaktionen am zweithäufigsten vor.

Da rund 90 Prozent der Allergiker in die Gruppe der Soforttypen fallen beschränkt sich der Pressedienst auf diese Kategorie.

Es gibt eine Vielzahl von Allergenen, die, gerade im Fall von Pollen, häufig auch zur selben Zeit und am selben Ort vorhanden sind. Noch dazu sind Symptome von allergischen Reaktionen oft unspezifisch und könnten auch von anderen Erkrankungen stammen. Die Deutsche Haut und Allergiehilfe (DHA) hat deshalb einige Symptome zusammengefasst, die auf eine Allergie hinweisen können:

  • Häufig wiederkehrende oder saisonal-abhängige Bindehautentzündung
  • Saisonal-abhängiger Fließschnupfen mit Niesanfällen
  • Wiederholte, von Infekten unabhängige Bronchitis (vor allem im Kindesalter)
  • Akute Speisenunverträglichkeiten, Reizmagen mit anfallsweisem Erbrechen
  • Plötzlich auftretender Durchfall nach bestimmten Speisen
  • Kolik-artige Magenschmerzen nach bestimmten Speisen
  • Schwellungen im Gesicht oder Mund und Rachenraum
  • Plötzlich auftretender Juckreiz
  • Nesselfieber
  • Hautausschläge

Hat man die Vermutung an einer Allergie zu leiden, kann nur der Gang zum allergologisch tätigen Facharzt Gewissheit bringen. Dieser wird, neben der genauen Erhebung der Krankheitsgeschichte, verschiedene Allergietests durchführen.

Allergietests

Im Gespräch mit dem Patienten versucht der Arzt die infrage kommenden Allergene einzugrenzen, damit er im Test die richtigen Allergene verwendet und, viel wichtiger, damit nicht durch den Test selbst, eine Sensibilisierung ausgelöst wird. In Abhängigkeit von den in der Anamnese festgestellten Symptomen, entscheidet sich der Arzt für die eine oder andere Testmethode. Es gibt Haut-, Blut- und Provokationstests. Bei den ersten beiden handelt es sich um Sensibilisierungstests, die anzeigen können ob einen Sensibilisierung gegen eine bestimmte Substanz vorliegt. Sie sagt weder etwas über die Art und Schwere der Beschwerden aus, noch ob überhaupt Beschwerden bestehen. Deshalb müssen die Symptome des Patienten zu den Testergebnissen passen, bevor eine klare Diagnose gestellt werden kann. Ein positiver Allergietest ist noch kein Nachweis für eine Allergie.

Ein Provokationstest wird vom Arzt durchgeführt, wenn weder Blut-, noch Hauttests ein klares Ergebnis liefern, beziehungsweise wenn nicht klar wird, ob die Testergebnisse für die Beschwerden des Patienten überhaupt relevant sind. Dabei werden die Allergene direkt an den Organen, die allergische Symptome zeigen getestet (Schleimhäute der Nase, des Mundes oder der Bronchien). Der Vorteil dabei ist, dass man nachweisen kann, dass durch den Kontakt mit Allergenen tatsächlich Beschwerden ausgelöst werden. Da bei diesem Test aber unerwartet schwere Folgen auftreten können, darf er nur unter Aufsicht eines Arztes durchgeführt werden, der, falls erforderlich, sofort Notfallmaßnahmen ergreifen kann.

Hauttests

Pricktest

Der Pricktest ist der am häufigsten angewandte Hauttest. Dabei träufelt der Arzt Allergenlösungen auf die Unterarminnenseite des Patienten und sticht diese mit einer Lanzette leicht in die Haut ein. Welche Allergenlösungen verwendet werden hängt von der vermuteten Allergie ab. Die Haut bildet nach 15 Minuten eine Quaddel, wenn das Immunsystem auf den Fremdstoff reagiert. Eine weitere Variante dieses Tests ist der Prick-to-prick-Test. Anstelle einer Allergenlösung werden echte Nahrungsmittel verwendet, in welche die Lanzette vor der Behandlung getaucht wird.

Reibetest

Bei manchen Allergien reicht schon ein leichter Kontakt mit der Haut aus, um eine Reaktion hervorzurufen. Beim Reibetest wird der vermutete Allergieauslöser auf die Innenseite des Unterarms eingerieben. Nach etwa 15 Minuten kann das Ergebnis abgelesen werden.

Intrakutantest

Im Gegensatz zum Pricktest, wird beim Intrakutantest die Allergenlösung unter die Haut gespritzt. Da eine starke allergische Reaktion erfolgen kann, darf der Test nur unter strenger ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden.

Bluttests

Durch einen Bluttest kann die Anzahl der IgE-Antikörper im Blut festgestellt werden. Es gibt sowohl Tests, die den Gesamtwert der IgE-Antikörper im Blut bestimmen, als auch Tests, die nur die Menge eines spezifischen IgE-Antikörpers messen. Normalerweise vergleicht der Arzt den Gesamtwert mit dem spezifischen Wert, um herauszufinden ob eine Sensibilisierung gegen den spezifischen Antikörper vorliegt. Einschränkend ist zu sagen, dass der Test nichts über die Symptome aussagt und mindestens die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland gegen mindestens einen Stoff sensibilisiert ist.

Zur Behandlung von (Typ-I) Allergien stehen dem Patienten heutzutage einige Möglichkeiten offen. Davon kann ein Patient jedoch nur profitieren, wenn er den Weg zum allergologisch tätigen Facharzt überhaupt geht.

Etagenwechsel

Von einem Etagenwechsel spricht man, wenn die allergische Reaktion der Schleimhäute auch auf die Bronchien übergreift. Bei Husten und erschwertem Atmen in der Allergiesaison sollte daher sofort ein Arzt aufgesucht werden. Nur durch eine Hyposensibilisierung kann das Risiko eines Etagenwechsels verringert werden.

Allergenkarenz

Die Vermeidung (lat. Karenz) von Allergenen ist eine zentrale, präventive Therapieoption. Prävention ist sehr wichtig um eine Verschlechterung der Allergie, einen Etagenwechsel, oder eine Erkrankung an weiteren Allergien zu vermeiden. Die Vermeidung von Allergenen gestaltet sich je nach Allergen unterschiedlich schwierig. Im Fall von Nahrungsmittelallergien kann das entsprechende Nahrungsmittel einfach vermieden werden, bei Allergien gegen Tierhaare unterlässt man den Kontakt zu dem Tier, das die Allergie auslöst. Haustiere müssen häufig weggegeben werden. Schwieriger ist es bei einer Hausstaubmilbenallergie. Hier können spezielle Matratzenbezüge verwendet werden, die „milbendicht“ sind. Außerdem können Teppiche in der Wohnung entfernt und ein trockenes Raumklima um 25 °C hergestellt werden. Pollenallergiker können Allergene zwar schwerlich vermeiden, doch gibt es Maßnahmen, durch die der Kontakt zumindest verringert werden kann. Pollenallergiker sollten sich täglich die Haare waschen, nach Aufenthalt im Freien die Kleidung (am besten außerhalb des Schlafzimmers) wechseln und abends nicht mehr lüften. Auch bei der Suche nach einem Urlaubsziel sollte man an seine Allergie denken. Pollen- und Hausstauballergiker profitieren beispielsweise von höheren Lagen. Dort nimmt die Allergenkonzentration ab. Außerdem gibt es Hotels, die sich beispielsweise auf allergenarme Küche spezialisiert haben. Hier lohnt eine Internetrecherche bezüglich der eigenen Bedürfnisse.

Symptomatische Therapien

Symptomatische Therapien können zwar nicht die Ursache von Allergien behandeln, jedoch die Symptome lindern und den Patienten Lebensqualität zurückgeben. Viele Medikamente sind heute freiverkäuflich in der Apotheke erhältlich. Zur Linderung von leichten Beschwerden eigenen sich Präparate, die den Botenstoff Histamin unterdrücken, sogenannte Antihistaminika. Sie gibt es in Form von Augentropfen und Nasensprays, zur direkten Anwendung an der betroffenen Stelle oder als Tablette zur Einnahme. Bei ausgeprägten Beschwerden werden cortisonhaltige Arzneimittel angewandt. Sie sind zwar häufig verschreibungspflichtig, doch gibt es inzwischen auch niedriger dosierte Mittel, die frei verkäuflich sind.

Kausale Therapien: Die spezifische Immuntherapie

Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist die einzige kausale Pharmakotherapie die zur Verfügung steht. Kausal bedeutet, dass sie die Ursachen einer Allergie bekämpft und somit dauerhaft Beschwerden lindern kann. Nach Expertenaussagen können die allergischen Symptome bei 70 - 80 Prozent der Behandelten reduziert werden. Manche Patienten sind nach einer Therapie auch völlig beschwerdefrei. Auch die Entwicklung von weiteren Allergien oder Asthma bronchiale kann durch eine SIT verhindert werden. Trotz der Vorteile der Therapie wird sie laut dem Berliner Allergieexperten Dr. Kleine-Tebbe zu selten angewandt.

Das Grundprinzip der SIT ist einfach: Das Immunsystem soll an den Kontakt mit dem entsprechenden Allergen gewöhnt und so die Sensibilisierung und damit auch die allergischen Symptome verringert werden. Der Körper soll eine Toleranz entwickeln. Dazu muss zunächst durch Test herausgefunden werden, gegen welches Allergen eine Sensibilisierung vorliegt. Dann wird das betreffende Allergen in einem gleichmäßigen Rhythmus verabreicht und die Dosis langsam bis zu einer individuell unterschiedlichen Höchstdosis gesteigert. Die Höchstdosis wird dann weiterhin in regelmäßigen Abständen verabreicht. Der Behandlungsprozess dauert mindestens drei Jahre und sollte vor Beginn der Allergiesaison des Betroffenen begonnen werden. Mit der Entwicklung neuer Substanzen wird in Zukunft eine immer genauere und vor allem kürzere Therapie möglich sein.

Therapieformen der SIT

Es gibt verschiedene Möglichkeiten eine spezifische Immuntherapie durchzuführen, die sich nach Art der Darreichung unterscheiden.

Bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT) werden die Allergene subkutan, also unter die Haut, vom Facharzt verabreicht. Der Patient muss dann mindestens eine halbe Stunde unter ärztlicher Aufsicht verbleiben, falls Nebenwirkungen auftreten sollten. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen nur um leichte bis starke, örtliche Hautreaktionen wie Rötungen, Schwellungen oder Juckreiz. In sehr seltenen Fällen kann es zu schweren Nebenwirkungen, wie z.B. einem Schockzustand kommen. Nach Erreichen der Höchstdosis wird die Therapie in regelmäßigen Abständen von ca. 4 bis 6 Wochen weitergeführt.

Eine weitere Methode ist die sublinguale Immuntherapie (SLIT). Hier werden die Allergene über Tropfen oder Tabletten, die unter der Zunge (sublingual) angewandt werden, zugeführt. Sie werden dann über die Mundschleimhaut aufgenommen. Im Gegensatz zur SCIT müssen die Allergene jeden Tag eingenommen werden. Anfangs wird die Dosis unter ärztlicher Aufsicht gesteigert. Später kann sie auch vom Patienten selbst durchgeführt werden, was den Arztbesuch erspart. Bei der sublingualen Immuntherapie kommt es noch seltener zu schweren Nebenwirkungen. Es können allerdings Juckreiz und Missempfindung im Mund- und Rachenraum und Symptome im Magen-Darm-Bereich auftreten. Da der Patient die Therapie im fortgeschrittenen Stadium selbst durchführt, ist eine gründliche Instruktion durch den Arzt nötig.

Interview mit dem Allergologen PD Dr. Jörg Kleine-Tebbe, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI)

Jörg Kleine-Tebbe hat mit 50 Jahren zufällig herausgefunden, dass er Atopiker ist. Er hat 2002 das Allergie- und Asthma-Zentrum Westend (AAZW) eröffnet, wo er heute praktiziert.

PD Arzneimittel: Herr Dr. Kleine-Tebbe, warum hört man so selten: Ich war beim Allergologen?

Dr. Kleine-Tebbe: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist eine Vielzahl der Medikamente, die Sie als Allergiker benötigen, frei verkäuflich in der Apotheke verfügbar. Die Patienten behandeln sich also häufig selbst. Außerdem haben sich die Gesetzlichen Krankenversicherungen zum Teil aus der Erstattung der Antiallergika zurückgezogen. Warum sollte man sich als Patient zwei Stunden in ein Wartezimmer setzten, nur um dann mit einem grünen Rezept wieder herauszukommen? Zum anderen werden die Leistungen, die für die Behandlung von Allergikern anfallen, nicht ausreichend vergütet. Das führt dazu, dass sich manche Fachärzte, die die Zusatzbezeichnung „Allergologe“ erworben haben, aus diesem Bereich zurückziehen, da sie nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Dennoch ist das Zahlenverhältnis zwischen Allergologen und Allergikern in Deutschland im internationalen Vergleich sehr gut.

PD Arzneimittel: Welche Therapieansätze gibt es, die bei Allergien helfen?

Dr. Kleine-Tebbe: Bei den Therapien unterscheidet man zwischen solchen, die die Symptome lindern und solchen, die die Ursache bekämpfen. Die Symptome können durch medikamentöse Behandlungen mit Antihistaminika bzw. kortisonhaltigen, lokal wirksamen Arzneimitteln oder durch Allergenkarenz, also die Vermeidung der Allergene, gelindert werden. Antihistaminika werden bei leichten bis mittleren Beschwerden eingesetzt, topische Kortisonpräparate bei ausgeprägten Beschwerden. Bei den kausalen Therapien gibt es bis jetzt nur die spezifische Immuntherapie (SIT); entweder mit monatlichen Allergeninjektionen oder potenten Allergentabletten/-tropfen zur täglichen Anwendung. Diese aufwändige, insgesamt 3 Jahre dauernde Therapie ist ein ganz wichtiger Baustein, denn nur hier besteht die Chance, dass die Überreaktion des Immunsystems abnimmt und ein Asthma verhindert wird. Die DGAKI hat hier mit anderen wertvolle Leitlinien entwickelt. Leider wird sie zu selten angewandt, weil viele Patienten, bei denen eine SIT sinnvoll wäre, nicht zum Facharzt gehen – teils aufgrund fehlender Information, teils weil sie auf dem Land wohnen und der nächste zu weit weg ist, teils weil sie sich selbst behandeln.

Die besten Therapieergebnisse erzielen wir durch eine Kombination aller Möglichkeiten: Allergenkarenz wenn möglich, Hyposensibilisierung zur Behandlung der Ursache, bzw. der langfristigen Beschwerden und Einsatz verschiedener Wirkstoffe zur Linderung der Symptome.

PD Arzneimittel: Wie finde ich heraus, was zu juckenden Augen oder triefender Nase führt?

Dr. Kleine-Tebbe: Die verdächtigen Allergene ergeben sich aus der Anamnese des Patienten. Zum Nachweis einer Allergiebereitschaft gibt es verschiedene Tests. Zum Beispiel ein Bluttest, durch den spezifische IgE-Antikörper bestimmt werden oder Hauttests, bei denen verdächtige Allergene eine juckende Quaddel auslösen. Dadurch kann indirekt spezifisches IgE in der Haut nachgewiesen werden, das gegen das Allergen gerichtet ist. Mittlerweile kann man sogar die jeweiligen Proteine in den Allergenquellen ermitteln, die die Reaktion auslösen. Die Molekulare Allergologie bietet ganz neue Methoden der Diagnostik. So können wir heute zum Beispiel besser erkennen welche Allergenquellen wirklich für die Immuntherapie berücksichtigt werden müssen. Diese Tests sagen aber zunächst nichts darüber aus, ob ich Allergiker bin, sondern zeigen nur, ob eine Allergiebereitschaft (Sensibilisierung) vorliegt oder nicht.

PD Arzneimittel: Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit?

Dr. Kleine Tebbe: Eine erhöhte Allergiebereitschaft zeigen inzwischen über 50 Prozent der Bevölkerung. Aber nur etwa die Hälfte davon entwickelt wirklich eine Allergie. Bei den anderen spricht man von einer "stummen Sensibilisierung" – manche werden erst später zu Allergikern. Es gibt also noch einen unbekannten Faktor X, der den einen zum Allergiker macht und den anderen nicht.

Erst wenn der Arzt im Gespräch mit dem Patienten die Testbefunde den geschilderten Symptomen eindeutig zuordnen kann, liegt wahrscheinlich eine Allergie vor. Man spricht dann von einer klinisch relevanten Allergie, die dann auch behandlungsbedürftig ist.

PD Arzneimittel: Es ist also gar nicht so leicht festzustellen ob man an einer Allergie leidet oder nicht…

Dr. Kleine-Tebbe: Und genau hier liegt das Problem: Viele Menschen nutzen heute das Internet, um sich über ihre Symptome zu informieren. Es gibt jedoch Überreaktionen, deren Symptome denen von Allergien sehr ähnlich sind, die aber ganz anders ausgelöst werden und die nichts mit dem Immunsystem zu tun haben. Das sind dann häufig Unverträglichkeiten, wie sie beispielsweise bei Nahrungsmitteln häufig vorkommen können. Doch die Betroffenen glauben an einer Allergie zu leiden. Ein weiteres Problem sind untaugliche Tests, die im Internet angeboten werden, wie zum Beispiel IgG-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel, die nicht zwischen gesund und krank unterscheiden können, oder pseudowissenschaftliche Methoden, Elektro-Akupunktur oder Bioresonanztests, deren Technologie Lügendetektoren ähnelt und die auch von der Scientology Church verwendet wird. So etwas hat in der Allergiediagnostik nichts zu suchen.

PD Arzneimittel: Auch wenn jetzt nicht jeder Allergiker ist, der sich dafür hält: Weshalb erkranken so viele Menschen an Allergien?

Dr. Kleine-Tebbe: Es gibt zunehmend Hinweise, dass unser veränderter Lebensstil etwas damit zu tun hat. Wir sind seltener draußen in der Natur und haben weniger Kontakt zu natürlichen Keimen. Dadurch sinkt die Toleranz unseres Immunsystems und es wird empfindlich gegenüber harmlosen Umweltstoffen wie Allergenen. Untersuchungen konnten zeigen, dass Menschen in der Stadt häufiger an Allergien leiden als Menschen auf dem Land. Auch bei Kindern von Bauernhöfen mit Viehzucht wurden im Vergleich zu denen ohne Viehzucht im Haus weniger Allergien festgestellt.

PD Arzneimittel: Heißt das, dass man Allergien vorbeugen kann?

Dr. Kleine-Tebbe: Forschungsergebnisse dazu zeigen, dass eine natürliche Geburt oder vier monatiges Stillen des Kindes das Allergierisiko etwas senken kann. Beim Thema Prävention befinden wir uns derzeit in einer Umbruchphase, es besteht in vielen Punkten noch Unsicherheit. Früher galt es, die Allergene möglichst früh und konsequent zu vermeiden. Der Trend geht heute in die andere Richtung: Neue Studien lassen vermuten, dass die Vermeidung von Allergenen das Allergierisiko steigert. Bereits in der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr kann der Kontakt zu natürlichen Keimen oder gewissen Nahrungsmitteln das Immunsystem "trainieren" und so das Allergiepotenzial gesenkt werden - die Forscher sprechen von "immunologischer Toleranz", die offenbar beim Allergiker verloren gehen kann. .

PD Arzneimittel: Können Allergien auch einfach wieder verschwinden?

Dr. Kleine-Tebbe: Ja. Bei Säuglingen und Kleinkindern mit Allergien gegen Kuhmilch, Hühnerei oder Weizen verschwinden sie häufig im späteren Kindes- und Jugendalter. Allergien z.B. gegen Pollen, die man später bekommt, können nach 10, 20 oder 30 Jahren schwächer werden. Warum das so ist weiß keiner. Allergiker brauchen offenbar die Ausdauer eines Marathonläufers.

Während die Zahl der Allergiepatienten steigt, sinkt die Zahl der Praxen die allergologische Behandlungen abrechnen, die die Leistungen die für die Behandlung von Allergikern anfallen nicht ausreichend vergütet werden. Daher ziehen sich manche Fachärzte aus dem Bereich zurück.

 

Nicht jeder hat das gleiche Risiko an einer Allergie zu erkranken. Liegt eine Allergie in der Familie vor, steigt auch das Risiko selbst zu erkranken.

 

Nicht nur Pollen und Gräser können eine allergische Reaktion hervorrufen. Es gibt viele andere Allergene, die für eine Allergie verantwortlich sein können.

 

  • es Allergien auch schon in der Antike gab? So soll beispielsweise der Sohn des römischen Kaisers Claudius eine Allergie gegen Pferde gehabt haben.
     
  • man auf Wasser und Zucker nicht allergisch reagieren kann, da beides keine Allergene enthält? Es ist höchstens eine Unverträglichkeit möglich.
     
  • Allergien nach vielen Jahren auch wieder verschwinden können?
     
  • der Ausdruck „Desensibilisierung“ im Zusammenhang mit Allergien irreführend ist, da die Sensibilisierung auf das Allergen erhalten bleibt?
     
  • das Immunglobulin E im Jahr 1966/67 von zwei Forscherteams, einem in den USA und einem in Schweden, gleichzeitig entdeckt wurde?
     
  • Männer und Frauen unterschiedlich oft Allergien bekommen? Im Jugendalter sind Mädchen weniger betroffen, im höheren Alter mehr. Weshalb das so ist weiß man nicht.
     
  • das Wort „Allergie“ im Jahre 1904 zum ersten Mal von Clemens von Pirquet verwendet wurde? Er war ein österreichischer Kinderarzt und führte den Begriff, in einer Veröffentlichung, in die medizinische Fachsprache ein.

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